Meilenstein für eine gute Kultur der politischen Auseinandersetzung
Mit Helena Müller und Silvan Kimpel geht die Alexander-von-Humboldt-Schule in den regionalen Debattierwettbewerb
LAUTERBACH (pm). Fundierte Argumente und Respekt vor dem Gegenüber, Ausdrucksstärke, Zuhörvermögen – all das sind Eigenschaften, die zu einer guten, konstruktiven Debatte gehören. Qualitäten, die gerade in den letzten Monaten in den öffentlichen Diskursen mehr und mehr vermisst werden. Umso wichtiger ist es, den richtigen Ton und Umgang in kontrovers geführten Debatten zu üben, sich vor Augen zu halten, wie man miteinander spricht und streitet.
Der Bundeswettbewerb „Jugend debattiert“, gefördert u. a. vom Bundespräsidenten und den Kultusministerien der Länder, setzt seit zwanzig Jahren genau da an: „‘Jugend debattiert‘ ist für mich ein Meilenstein für eine gute Kultur der politischen Auseinandersetzung in Deutschland“, sagte bereits Bundespräsident Horst Köhler im Jahr 2008. Sein Nachfolger Frank-Walter Steinmeier betonte zum diesjährigen zwanzigjährigen Jubiläum: „Wie sehr wir die Fähigkeit zur Debatte, zum fairen und qualifizierten Meinungsstreit brauchen, das ist uns heute noch einmal stärker bewusst als zur Gründung der Initiative vor 20 Jahren. Wir brauchen faire und lebhafte Debatten statt Fake News. Debatten, die andere Meinungen achten und auf Gewalt und Gewaltandrohung verzichten.“
Seit nunmehr drei Jahren ist auch die Alexander-von-Humboldt-Schule eine von inzwischen 1400 deutschen Schulen, die ihren Schülerinnen und Schülern ermöglichen, Erfahrungen im Debattieren zu sammeln und sich in ihrer jeweiligen Altersklasse den Kriterien Sachkenntnis, Ausdrucksvermögen, Gesprächsfähigkeit und Überzeugungskraft auszusetzen. Sie tun dies in der Vorbereitung mit unterschiedlichen Themen. Wie im Wettbewerb entscheidet das Los darüber, ob man für oder gegen die zu diskutierende These ist. Ist das Thema bekannt, können die Diskutanten in einer vorgeschrieben Zeit Informationen sammeln und ihre Argumentationskette aufbauen. Wie in der Wettbewerbssituation dürfen sie schon im Training und im Klassenwettbewerb keine Aufzeichnungen dabeihaben, wenn die Diskussion startet. Die Informationen und Argumente müssen präsent sein und vermittelt werden, gleichzeitig müssen die Debattenteilnehmer in den unmoderierten Gesprächsrunden selbst dafür sorgen, dass auch andere Meinungen gehört werden. Den Abschluss des Schulentscheids bildete vor wenigen Tagen der Wettbewerb in der Aula der Schule. Drei Debatten mit jeweils vier Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum vorgegebenen Thema „Sollen Körpermodifikationen ab 16 Jahren ohne die Zustimmung der Eltern möglich sein?“ fanden in der Altersklasse 1 (8. bis 10. Klasse) statt. Das allgegenwärtige Thema „Soll eine allgemeine Impfpflicht gegen das Corona-Virus eingeführt werden?“ war die Frage, mit der sich vier Schülerinnen und Schüler der E-Phase, also der Altersklasse 2, in ihrer Runde beschäftigten.
Der Ablauf ist bei allen Durchgängen derselbe: In der Eröffnungsrunde beantwortet jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer die Streitfrage sehr kurz aus der eigenen Sicht. In der Freien Aussprache werden weitere Argumente gebracht und miteinander abgeglichen. In der Schlussrunde hat jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer noch einmal kurz Zeit, die Streitfrage ein zweites Mal zu beantworten: diesmal im Lichte all der Argumente, die gehört wurden. Die Zeitvorgaben sind akribisch und variieren in den Altersklassen. Damit hier alles gerecht zugeht, teilt die Schule einen Zeitwächter ein. An der AvH war dafür die Lehrerin im Vorbereitungsdienst Annika Meckbach zuständig. Die Vorbereitungen traf Lehrerin Julia Speck gemeinsam mit ihren Kolleginnen Anne Marufke, Nancy Hirzmann und Hannah Vogel sowie ihrem Kollegen Matthias Berg. Die Jury war ebenfalls mit Mitgliedern des Kollegiums besetzt: Phillip Döll, Simone Pauls, Julia Speck, Christa Lange und Matthias Berg wählten am Ende diejenigen aus, die am besten die Regeln der guten Debatte eingehalten haben, die mit guten Kenntnissen zu ihren Themen genauso glänzten wie mit der Fähigkeit, die anderen anzuhören und ausreden zu lassen. Gleichzeitig verteidigten sie ihre Positionen oder zeigten im Abschluss-Statement auch Einsichten in die gegnerischen Positionen.
„Seit Anfang des Schuljahres haben wir uns im Unterricht auf den Wettbewerb vorbereitet“, berichtet Julia Speck. „Gut und fair zu diskutieren, will gelernt sein, insbesondere, wenn man dazu ausgelost wurde, eine Meinung zu vertreten, die man nicht selbst hat. An den älteren Schülerinnen und Schülern, die nun schon öfter an dem Wettbewerb teilgenommen haben, kann man tatsächlich eine großartige Entwicklung in der Gesprächskultur feststellen.“ Das Ergebnis rechtfertige den zeitlichen Aufwand auf jeden Fall, ist man sich an dem Lauterbacher Gymnasium einig, denn es werden viele Kompetenzen geschult: Fundierte Recherchearbeit, Teamwork, Verhalten und Regeln in Diskussionen und Debatten und nicht zuletzt die Fähigkeit, vor Publikum zu sprechen und zu präsentieren. Das Publikum bestand in diesem Fall coronabedingt überwiegend aus Menschen vor ihren Computern, da der Wettbewerb live in die Klassen gestreamt wurde. Sie wurden Zeuge, wie Helena Müller aus der 9d und Silvan Kimpel aus der E1-D sich an die Spitze der Debattanten setzten. Die beiden werden ihre Schule nun im Regionalentscheid vertreten, der im kommenden Jahr stattfindet. Und sollten sie gewinnen, stehen noch der Landes- und Bundesentscheid vor der Tür. Und danach, so hofft es zumindest der Bundespräsident, sollen die Sieger in Präsenz von ihm gewürdigt werden.
Bis dahin wird es sicher noch das eine oder andere Thema an der AvH, im Land und grundsätzlich auszudiskutieren geben.Text: Traudi Schlitt; Foto und Bildunterschrift: Julia Speck
Impfpflicht ja oder nein? Hier diskutieren die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe der Alexander-von-Humboldt-Schule, links im Bild: Schulsieger Silvan Kimpel.