Großer Bahnhof herrschte kurz vor den Sommerferien an der Alexander-von-Humboldt-Schule anlässlich des Besuches von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. „Findet heute überhaupt Unterricht statt?“ fragte sie scherzhaft angesichts des großen Aufgebots an Mitgliedern der Schulleitung, der Lehrer- und Schülerschaft. Die Ministerin war nach eigenen Aussagen einer Empfehlung der ehemaligen hessischen Kultusministerin Dorothea Henzler gefolgt. Diese hatte vor einigen Jahren das Lauterbacher Gymnasium auf dem Weg zur Selbstständigen Schule begleitet und ist seitdem von dem Erfolg und dem Engagement der Schule angetan. Auch sie freute sich über ein Wiedersehen in Lauterbach. Wie die Alexander-von-Humboldt-Schule arbeitet und was sie auszeichnet, dafür interessierten sich neben Henzler und Stark-Watzinger auch Moritz Promny, bildungspolitischer Sprecher der FDP in Hessen, und Michael Ruhl, Mitglied des Landtags für die CDU. Vom Staatlichen Schulamt für den Landkreis Gießen und den Vogelsbergkreis nahm Dr. Arne Hogrefe an dem Besuch der Politikerinnen und Politiker teil.
Der erste Teil des Besuchs bestand für die Gruppe aus einer Vorstellung der Schule und des pädagogischen Konzeptes. Die digitale Ausstattung der Klassenräume fiel den Gästen sofort ins Auge. Schulleiterin Gitta Holloch lobte den Vogelsbergkreis ausdrücklich für die sehr gute und sehr frühe Ausstattung des Gymnasiums und aller anderen Schulen des Kreises mit digitalen Tafeln. Für Stark-Watzinger und Henzler von besonderem Interesse war auch die Frage, inwiefern die Schule von ihrem Status als selbstständige Schule profitiere. Holloch erklärte, der Status als selbstständige Schule schaffe viele Freiheiten: Die Auswahl des Personals könne passgenau zum pädagogischen Konzept erfolgen, es könnten Stundenentlastungen für über den Unterricht hinausgehendes Engagement gewährt werden, die bei den Lehrpersonen zu besserer Gesundheit und mehr Arbeitszufriedenheit beitrügen, und es gäbe auch für Lernende viel Unterstützung bei der Persönlichkeitsentwicklung. So könnten die Lernenden in diesem Bereich mit externen Coaches arbeiten und die Schule könne die Kosten für den Geva-Test übernehmen.
Auch das Thema Bildungsgerechtigkeit ist für eine Bildungsministerin von besonderer Bedeutung. Unter Verweis auf das Schulmotto „Every child matters“ führte Holloch aus, mit welchen Strategien und Maßnahmen sich die Schule diesem Ziel verschreibt.
Schulleitungsmitglied Florian Jost erläuterte den Stand der Digitalität an der AvH, die hier so gut aufgestellt ist, dass während der Pandemie online Unterricht nach Stundenplan erteilt werden konnte. Heute verfahre man nach dem Prinzip „Bring Your Own Device“: Jeder Schüler und jede Schülerin könne ein eigenes Gerät mit zum Unterricht bringen und so digital oder auch analog arbeiten, wie es beliebt. Dass die Schule hier offen und flexibel ist, wurde später noch bei den Unterrichtsbesuchen deutlich. Digitale Kompetenz sei ein Baustein des Schulcurriculums, das bereits in der Jahrgangsstufe 5 beginnt.
Besonders interessiert zeigten sich die Besucher an dem pädagogischen Konzept der AvH: Joachim Gerking, stellvertretender Schulleiter und pädagogischer Leiter, erläuterte, dass sich die Schule an den Befunden der empirischen Unterrichtsforschung ausrichte und in engem Austausch mit Unterrichts- und Bildungsforschern stehe, um sich bei der Unterrichtsentwicklung rückzuversichern. Beispielhaft dafür nannte Gerking das in Kooperation mit der Universität Kassel entwickelte POLKA-Projekt, in dem theoretischer Input aus der Wissenschaft, Unterrichtsplanung, kollegiale Unterrichtshospitation und –reflexion systematisch miteinander verzahnt seien. Von besonderer Bedeutung für die Unterrichtsentwicklung sei auch die beständige Evaluation der eigenen Unterrichtsarbeit, u. a. auch durch die Teilnahme an allen Lernstanderhebungen und Vergleichstests sowie durch schulinterne Evaluationen. Dass die Schule in der Region sowohl hinsichtlich dualer Studiermöglichkeiten als auch interessanter Ausbildungsgänge für ihre Schülerinnen und Schüler sehr gut vernetzt ist, zeigte ein Blick auf die zahlreichen Kooperationspartner. Auch über die Herausforderungen, mit denen Schulen zurzeit konfrontiert sind, sprach Gerking offen: die Zunahme der psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen, mangelnde Deutschkenntnisse auch bei Muttersprachlern oder die Rückstände, die durch die Pandemie entstanden sind, führte der pädagogische Leiter an. Ein Ausweg aus dieser Situation lasse sich nur mit einer stärkeren Verantwortungsübernahme auch von Lernenden und Eltern finden.
Sie sei „sehr beeindruckt, was geleistet werden kann“, sagte die Bundesbildungsministerin. Sie lobte, was die Schule im Rahmen ihrer Selbstständigkeit bewirke, und die hervorragende Vernetzung des Gymnasiums – auch im wissenschaftlichen Bereich. Stark-Watzinger bestritt nicht, dass es eine Bildungskrise gebe, aber man sehe anhand der AvH, dass man etwas tun könne. Die Herausforderungen seien vielfältig und deren Lösung beginne bereits an den ersten Schaltstellen, nämlich in der Kita. Es sei eine spannende Frage, wie die Schule der Zukunft, auch mit Blick auf die Einwanderungsgesellschaft, aussehe.
In zwei Unterrichtsbesuchen – bei einer fünften Klasse mit Mathematiklehrerin Stefanie Michel und dem Biologie-Grundkurs der Q2 mit Dennis Merle – konnten sich Gäste ein Bild vom Unterricht an der AvH machen: Sie konnten beim Lernen mit Tablets und analogen Materialien zuschauen oder selbst mitmachen und am Ende auch die digitalisierte Feedbackrunde verfolgen. Im Biologie-Grundkurs beeindruckte besonders das Prinzip „Think – Pair – Share“, das den Lernenden kollaboratives und angstfreies Lernen ermöglicht und eine Lernatmosphäre des Miteinanders schafft. Die Bundesministerin dankte den Klassen und Kursen für ihre Präsentationen und zeigte sich von dem Unterricht sehr angetan.
Den zweiten Teil des Besuchs verbrachte die Gruppe in der Aula mit Oberstufenschülern. Dort hatte die Jahrgangsstufe Q2 sich auf eine Gesprächsrunde mit Stark-Watzinger und Moritz Promny vorbereitet. Lotta Gohlke und Tim Stock moderierten die Fragerunde, in der die Ministerin viele Fragen beantworten musste: Ist das Schulsystem in einer Krise? Die Schülerinnen und Schüler fragten nach der Rolle des Bundes angesichts der Tatsache, dass Schulpolitik Länderangelegenheit ist, nach dem Sinn von Noten und „Bulimielernen“, nach mehr Tiefe und weniger Breite bei den Stoffvorgaben oder den Gefahren der Digitalisierung versus deren Nutzen. Auch die spannende Frage nach der Abhängigkeit des Bildungserfolgs von sozioökonomischen Gegebenheiten stellten die zukünftigen Abiturientinnen und Abiturienten.
Sowohl Stark-Watzinger als auch Promny hatten verschiedenen Antworten parat: Die AvH könne mit ihrem Engagement ein Vorbild dafür sein, wie man in der Krise den Wandel mit einer guten Mischung aus Fordern und Fördern gestalten könnte, meinte die Ministerin. Mit Blick auf das föderale Bildungswesen wünschte sie sich durchaus weniger Bürokratie und Reibungsverluste. Der bildungspolitische Sprecher der FDP sagte hinsichtlich der Notwendigkeit von Noten, dass das Leistungsprinzip wichtig sei und Noten dies am besten und vergleichbarsten abbildeten. Auch auf die Frage nach KI gingen die Bildungspolitiker ein. Ihnen war wichtig zu betonen, dass Schülerinnen und Schüler berechtigt daran glauben sollten, dass eigene Leistung den Lebensweg bestimme und nicht die Herkunft. Dies sei auch von Bedeutung für die Stärkung der Demokratie. In diesem Zusammenhang verwies die Ministerin auf das Startchancen-Programm der Bundesregierung, das thematisch breit aufgestellt sei und Bildungsengagement ermöglichen solle.
Bezüglich vieler Fragen zeigten sich sowohl Stark-Watzinger als auch Promny sicher, dass die selbstständigen Schulen am besten aufgestellt seien, um den verschiedenen Herausforderungen so zu begegnen, wie es die Lage vor Ort nötig macht. Eine hohe Flexibilität fördere das Leistungsniveau, fand Promny. Die beiden Bildungspolitiker lobten das Engagement des Gymnasiums und dankten allen Lehrpersonen für deren Einsatz. „Die AvH zeigt, dass ein Wandel gelingen kann“ so das Fazit der Gäste, „mit Freiheit, Regeln und Evaluation.“
Text: Traudi Schlitt
Bilder: Thomas Schmidt

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